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Interview mit Volker Carle

Holz – und damit der Boden, auf dem es wächst – ist eine Säule der Versorgung mit erneuerbarer Energie. Und die Energiewende kann nur erfolgreich sein, wenn es auch eine „Wärmewende“ gibt. Wie umweltfreundliche Wärmeversorgung aussehen kann, zeigt die hessische Gemeinde Cölbe: Im Ortsteil Schönstadt versorgt eine Energiegenossenschaft über ein Nahwärmenetz einen Großteil der Haushalte mit klima- und bodenfreundlicher Holzwärme. Und auch sonst setzt Cölbe auf Nachhaltigkeit und Energieeinsparung, erklärt Cölbes Bürgermeister Volker Carle im Interview.

Wann und warum haben Sie sich für eine Wärmewende mit Holzenergie in Ihrer Gemeinde entschieden?
Volker Carle: Uns war klar, dass es wichtig ist, sich Gedanken um Energieeffizienz zu machen. Die Initialzündung zu unserem Nahwärmenetz kam mit unserem Klimaschutzkonzept, einer Machbarkeitsuntersuchung zu Möglichkeiten, die Energiewende voranzubringen. 2009 entstand dann die Idee, den Wandel in Kooperation mit dem Holzunternehmen im Ortsteil Schönstadt anzugehen. Eine Bürgergenossenschaft gründete sich, die als alleiniger Eigentümer das Nahwärmenetz verwaltet. Ihr gehört heute ein Großteil der Bürger an.

Im März 2012 wurde der erste Spatenstich gesetzt. Innerhalb von sieben Monaten wurden in Schönstadt so gut wie alle Straßen aufgegraben und die Rohre für das Nahwärmenetz verlegt.

Das alles wäre gar nicht möglich gewesen, wenn unsere knapp 6.700 Einwohner nicht eingesehen hätten, warum sie künftig auf durch fossile Energieträger betriebene Heizsysteme verzichten sollen. Den Wandel haben die Bürger also letztlich selbst in die Hand genommen. Am Ende ist es doch so: Nachhaltigkeit findet vor Ort oder überhaupt nicht statt. Die Politik kann fördern, aber den Wandel nicht aus der Ferne für uns erledigen.

Heute hat die Kraft-Wärme-Kopplung des Sägewerkes in Schönstadt eine Kapazität von 1,1 Megawatt Strom und 4,9 Megawatt Wärme, die aus Holzresten und -rinde gewonnen werden. 290 Liegenschaften, das sind drei Viertel aller Schönstädter Haushalte, werden so inzwischen mit nachhaltiger Wärme versorgt. Die Stromproduktion deckt rechnerisch sogar den Bedarf fast aller Haushalte in der Großgemeinde ab.

Welche Vorteile hat die Holzwärme aus ökologischer und wirtschaftlicher Sicht?
Volker Carle: Wir können heute auf den Kauf von 600.000 Litern Heizöl pro Jahr verzichten, das sind 60 Tankwagen mit je 10.000 Litern, die nicht mehr jedes Jahr nach Cölbe fahren müssen. So verbleiben hier knapp 400.000 Euro jährlich, die die Region sonst für Öl aus dem Ausland ausgeben müsste. Das hat nicht nur Energieunabhängigkeit und Arbeitsplätze geschaffen, sondern auch das Bewusstsein und den Austausch der Bürger über einen sparsamen Energieverbrauch gefördert.

Das ist gut und sinnvoll. Schließlich haben private Haushalte in Deutschland einen Anteil von 29 Prozent am Primär-Energieverbrauch – mehr als Industrie oder Mobilität. Und knapp drei Viertel der im Haushalt verbrauchten Energie wiederum werden für Wärme verwendet.

Seit Oktober 2012 verbindet ein 13 Kilometer langes Leitungsnetz das Holzheizkraftwerk des lokalen Holzunternehmens mit drei Viertel der Haushalte im Ortsteil Schönstadt. Gewinnen Sie die Holzenergie ausschließlich aus Holzabfällen oder werden auch Bäume dafür genutzt? Welche Pflanzen eignen sich als bodenschonende, schnell wachsende Energiepflanzen?
Volker Carle: Bislang werden nur Holzrinde und -abfälle des Sägewerks verwendet, damit nutzen wir erstmal das, was sowieso anfällt. Wir erarbeiten darüberhinaus gerade ein Konzept, mehr Feldhecken zu pflanzen und diese auch für die Energiegewinnung zu nutzen. Hier gibt es noch ein riesiges ungenutztes Potenzial, denn das Heizkraftwerk ist in der Lage, auch solches Holz gut zu verbrennen – und die Hecken sollen die Ackerflächen vor Erosion schützen. Plan ist, dadurch wegzukommen von der Monokultur und partiell die ursprüngliche Naturlandschaft mit Rückzugsräumen für Vögel und andere Tiere wiederherzustellen. So würde auch der Boden aufgewertet.

Ihre Gemeinde will bis 2040 zu 100 Prozent auf erneuerbare Energien umstellen. Für die Energiewende kann Holz aber letztlich nur eine von vielen Möglichkeiten sein.
Volker Carle: Das Nahwärmenetz war ein bombastischer Sprung. Aber der größte Schatz, den wir haben, ist letztlich das Einsparen von Energie. Hier braucht es vor allem Überzeugungs- und Informationsarbeit, damit die Bürger einsehen, dass sich schon kleine Investitionen in Energiesparmaßnahmen lohnen.

Welche Energiearten nutzen Sie noch?
Volker Carle: Im September 2012 haben wir auf der Fläche einer aufgefüllten Kiesgrube einen 75.000 Quadratmeter großen Solaracker eröffnet, der heute 13 Prozent des Strombedarfs in Cölbe abdeckt. Und weil die Mobilität immerhin 39 Prozent des Primärenergieverbrauchs ausmacht, gibt es seit 2014 einen Carsharing-Verein. Die Fahrzeuge nutzen ausschließlich Ökostrom statt Benzin oder Diesel und sind schon mehr als 27.000 Kilometer damit gefahren.

Außerdem planen wir auch einen Windpark und mehr dezentrale Lösungen zur Energieversorgung. Angedacht sind unter anderem weitere kleinere Blockheizkraftwerke, die mehrere Häuser zu kleinen Nahwärmenetzen zusammenschließen.