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Interview mit Gesine Jost

Textilfasern aus Buchenholz, Eukalyptus, Milch: Statt nur auf Baumwolle, deren konventioneller Anbau umwelt- und bodenbelastend ist, setzen immer mehr Unternehmen auf eine vielfältige Rohstoffbasis für die Herstellung von Kleidung. Die Modedesignerin Gesine Jost hat sich auf die Verwendung von Brennnesseln spezialisiert – und ist begeistert von den Vorteilen der als Unkraut verrufenen Pflanze.

Sie verzichten bei ihrer Mode auf Baumwolle und nutzen unter anderem Brennnesselfasern. Wie sind Sie auf die alternativen Materialien gekommen?
Gesine Jost: Obwohl die Brennnessel häufig als Unkraut bezeichnet wird, ist sie eigentlich eine wertvolle Nutzpflanze – für Tee, Düngesud und eben die Kleidungsherstellung. Ich beschäftige mich gerne mit der Materie und vertiefe mich ins Detail. Und durch mein familiäres Umfeld – auch durch die Landwirte in meiner Familie – wurde ich sehr darauf geprägt, die Natur und die Umwelt zu schützen und Ressourcen zu schonen. So hat sich das Brennnessel-Projekt entwickelt. Ich wusste, dass die Brennnessel eine Bastfaser-Pflanze ist und sich deshalb für Kleidung eignen könnte. Also begann ich an der Pflanze zu forschen, von der Saat und den Wachstumsbedingungen über die Gewinnung der Faser bis hin zur Fertigung von Kleidung.

Welche Rohstoffe verwenden Sie noch?
Gesine Jost: Ich nutze die europäische Große Brennnessel (Urtica Dioica) und die Ramie (Boehmeria nivea) – die asiatische Nessel. Die europäische Form lässt sich bisher aber nur als Mischgarn verwenden, weil ihre Faser weniger Haken hat, dadurch glatter ist und damit den Spinn- und Strickprozess erschwert. Aber gerade werden Maschinen entwickelt, die industrielle Gewinnung und Verarbeitung der Faser ermöglichen. Außerdem verwende ich Bambus, dessen Cellulose als Basis für Viskose dient und das Fundament für das Mischgarn mit den Nesselfasern bietet. Im Vergleich zu echten Synthetikfasern wie Polyester bestehen Viskosefasern aus einem nachwachsenden Rohstoff. Bambus ist ein schnell nachwachsender Rohstoff und im Wachstum unkompliziert. Allerdings braucht er viel Wasser und verdrängt leicht andere Arten – es ist also wichtig, auf Herkunft und Produktionsbedingungen zu achten. Echte Synthetikfasern wie Polyester werden aus Erdöl hergestellt, das bald zu Ende geht und dessen Förderung die Umwelt belastet.

Wie funktioniert die Technologie, mit der die Fasern für Ihre Mode hergestellt werden?
Gesine Jost: Vor kurzem gab es noch keinen industriellen Weg, Fasern aus der Brennnessel herzustellen. Der Maschenstoffhersteller, mit dem ich kooperiere, entwickelt aber inzwischen entsprechende Maschinen, die die Pflanze in wenigen Jahren zu einem massentauglichen Grundstoff für Kleidung machen werden.

Wie steht es um Haltbarkeit, Tragbarkeit, Hautverträglichkeit?
Gesine Jost: Es gibt diverse Faktoren, die getestet werden müssen: Wie perlt das Wasser ab, wie saugfähig ist das Material, wie luftdurchlässig, wie leicht anfärbbar; wie sind Wärmedurchgangswiderstand und Wasserdurchgangswiderstand? Das alles habe ich in meiner Forschungsarbeit mit den Eigenschaften von Baumwolle und Leinenfasern verglichen. Dabei zeigte sich: Die Pflanze hat viele Vorteile.

Welche sind das – profitieren davon auch der Boden und die Umwelt?
Gesine Jost: Die Brennnessel muss zum Beispiel nicht mit Pestiziden behandelt werden, weil sie einen guten natürlichen Selbstschutz hat. Und im Unterschied zur Baumwolle muss die Brennnessel nicht chemisch aufbereitet werden, bevor sie färbbar wird, denn die Fasern sind von Natur aus weiß. Die gelblichen Baumwollfasern dagegen sind wachsig, und müssen daher – unter Verwendung von viel Laugen und Wasser – gespült und gebleicht werden. Außerdem kommt Baumwolle von weit her, oft aus Monokultur, und sie muss im Wachstum aufwändig bewässert werden. Das alles macht ihre Gewinnung sehr schädlich für Boden und Umwelt – doch ein guter Grund, sich bei der Fasergewinnung nicht nur auf sie zu stützen!

Gibt es Hürden oder Nachteile bei der Verwendung der alternativen Materialien?
Gesine Jost: Die asiatische Nessel hat einen Nachteil: Sie ist nicht frostresistent. Die europäische Brennnessel aber lässt sich fast überall anpflanzen. Ansonsten besteht eben – noch – die Hürde bei der Gewinnung und Verarbeitung. Aber das liegt vor allem daran, dass früher Baumwolle auf Masse angebaut wurde und heute fast die gesamte Produktion und Entwicklung zu sehr auf diese eine Faser ausgerichtet sind. Ich finde aber, dass das Ausprobieren alternativer Fasern gut in den Design-Bereich passt und präsentiert werden sollte, um sie zukünftig massentauglich zu machen. Nachhaltige Strukturen und Konzepte, wie die Verwendung regionaler Materialien, sind mir dabei sehr wichtig.